Männliche Spiritualität

Warum begeben sich so wenige Männer auf die Suche nach sich selbst?

Nun bin ich schon ein paar Jahre als Coach tätig und eines ist sehr schnell offensichtlich geworden: Es sind fast ausschließlich Frauen, die sich um ihre persönliche Weiterentwicklung bemühen. Aber warum begeben sich so wenige Männer auf diese so wichtige Reise zu sich selbst?

Tief verwurzelte Ursachen

In unserer Gesellschaft herrscht von Seiten vieler Männer noch immer das Bild des „starken Versorgers“ vor, der in erster Linie für das materielle Wohlergehen und den Schutz der Familie zuständig ist. Viele Frauen, vor allem in jungen Jahren, suchen auch explizit nach einem Partner, der mit ihnen ein finanziell abgesichertes Leben aufbauen, ihre materiellen Wünsche bedienen und eine Familie gründen kann. Dies sind tief eingeprägte, genetisch veranlagte Muster, ohne die die Menschheit vermutlich längst ausgestorben wäre.

Was evolutionär einmal sinnvoll war, wird in einer künstlich geschaffenen, kapitalistischen Gesellschaft jedoch zum Problem – insbesondere, wenn das Überleben, der soziale Status und der Wunsch nach Partnerschaft ausschließlich davon abhängen, wie viel Geld ein Mann erwirtschaftet. Dazu kommt das Bedürfnis von Männern, sich mit anderen Männern zu messen und „den Weibchen“ zu imponieren.

Auf der anderen Seite fühlen sich die meisten Frauen, insbesondere in jungen Jahren, vor allem von Männern angezogen, die einen hohen Testosteronspiegel aufweisen. Ein hoher Testosteronspiegel korreliert mit einem niedrigeren IQ, aber auch mit einer höheren Risikobereitschaft – evolutionär vorteilhaft, weil die Entwicklung der Menschheit sehr kriegerisch war und deshalb Kämpferqualitäten bevorzugte. Dazu gehören weder Intelligenz noch Feinfühligkeit.

Um es ganz direkt zu sagen: Männer sind nicht gerade mit optimalen Voraussetzungen für spirituelle Entwicklung ausgestattet. Sie wurden gewissermaßen zum Unspirituellsein gezüchtet. Entsprechend verloren wirken viele Männer nun auch in einer Gesellschaft mit Frauen, die sich emanzipieren und nicht mehr auf der Suche nach einem Beschützer oder Versorger sind, sondern nach Männern, die sie bei ihrem persönlichen Wachstum auf Augenhöhe begleiten können.

Hart arbeitender Mechaniker, der eine Maschine in Stand setzt.

warum die übliche Spiritualität Männer nicht anspricht

Kapitalismus hat die Männlichkeit versklavt und sie der Gier einiger Weniger unterworfen. Sie wurde reduziert auf ihre reine körperliche Funktion. Emotionen waren nicht nützlich und wurden den Männern deshalb aberzogen.

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Als spiritueller Mann begegne ich vielen Frauen und erlebe, wie sie ihre Spiritualität ausleben. Vieles davon resoniert einfach nicht in mir – und das ist okay. Frauen und Männer haben unterschiedliche Zugänge zu ihren Emotionen und zu ihrem spirituellen Kern. Doch leider wird der Bereich der Spiritualität so stark von Frauen dominiert, dass sich kaum eine konkrete männliche Spiritualität herauslesen lässt.

Wenn Männer nun dazu angehalten werden, sich mehr mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen, sind sie natürlich erst mal verschreckt und wittern den potentiellen Verlust ihres Mann-Seins, wenn sie sich auf das einlassen, was ihnen die weiblich geprägte spirituelle Szene vorlebt. So kommt es eher zu einer Abwehrreaktion als zu einer gesunden Integration einer männergerechten Spiritualität. Es braucht also Entwürfe, die die Bedürfnisse von Männern aufgreifen und sie einladend in diesen Prozess mitnehmen.

Was ist "männliche Spiritualität"?

Wenn man eine männliche Spiritualität beschreiben will, muss man Rücksicht auf die Bedürfnisse und Eigenheiten von Männern nehmen – die natürlich auch von Mann zu Mann verschieden sind. Eine männliche Spiritualität muss sowohl die Stärke des Mannes als auch seine sanften Seiten umfassen, ihnen gerecht werden und sie im besten Fall zusammenführen.

Der Mann soll ja gar nicht zu einem Wesen werden, das der weiblichen Spiritualität entspricht. Er soll vielmehr ihr komplementäres Gegenstück sein: ein emanzipierter Mann, der seine Stärke kultiviert hat und sie einsetzt, damit er und seine Partnerin gemeinsam wachsen können.

Dazu gehört die Auseinandersetzung mit seinen tiefen Gefühlen, seiner Verletzbarkeit, seiner Scham, Wut und Trauer. Denn erst wenn ein Mann diese Gefühle in sich selbst aushalten kann, kann er den sicheren Raum für die Emotionen seiner Partnerin halten.

Es geht also nicht darum das Rad neu zu erfinden oder den Mann zu einem emotionalen Sensibelchen zu transformieren. Seine ihm angeborene Rolle benötigt nur eine den neuen Begebenheiten angepasste Transformation.

Yin-Yang als Inbegriff sich gegenüberstehender aber sich bedingender Kräfte

Das Yin-Yang steht für zwei entgegengesetzte Kräfte, die sich in einem größeren Kontext gegenseitig bedingen. Es ist so universell wie es wahr ist und verdeutlicht in diesem Kontext die Wichtigkeit einer individuellen sowohl männlichen wie auch weiblichen Spiritualität, die sich ohne ihr Gegenstück nicht entfalten kann.

Kooperation der Geschlechter

Diese Transformation können die Männer genauso wenig allein vollziehen wie die Frauen. Wenn ich schreibe, dass Männer den sicheren Raum für die Frauen halten sollen, dann muss man sich vergegenwärtigen, dass ein Mann das nicht aus dem Stand heraus kann. Bis er diesen Punkt erreicht, ist es ein langer innerer Prozess.

Ein Mann braucht bis dahin ebenso Sicherheiten durch Frauen, die ihn so annehmen, wie er ist – in schwachen wie in starken Momenten und in seiner Unfertigkeit. Dieses Sicherheitsbedürfnis ist also keine Einbahnstraße.

Wir befinden uns – Männer wie Frauen – auf einem Weg, der zwar weit ist, aber nicht bewältigt werden kann, wenn ihn nur eine Seite geht oder erwartet, dass die andere ihn schon vollständig gegangen ist.

Wir müssen lernen, uns offen über unsere wahren Bedürfnisse – auch in unserer Geschlechtlichkeit – auszutauschen, und akzeptieren, dass wir unterschiedliche Bedürfnisse haben, unterschiedliche Wege parallel gehen können und letztlich alle eine Work-in-Progress sind.

Was Männer auszeichnen sollte, ist Mut. Nicht der Mut, unsinnige Dinge mit Motorrädern und Alkohol zu machen, sondern der Mut, sich in das Unbekannte zu wagen, sich seinen wirklichen Ängsten vor Nähe zu stellen und echte, tiefe Verbindungen zu sich selbst und anderen aufzubauen.

Wir müssen uns wieder gegenseitig entdecken wollen und den Mut aufbringen, uns ganz offen voreinander zu zeigen. Die Spaltung zwischen Männern und Frauen war vielleicht noch nie so groß wie heute – aber es gab auch noch nie so viele Möglichkeiten, echte Verbindung und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.
 

Liebe Männer: Habt den Mut, eure eigene Spiritualität zu entwickeln, denn sie ist genauso kraftvoll und voller Magie wie die der Frauen. Und gemeinsam entfaltet sich dann das ultimative Wunder.

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