als ich wegen meiner Traumata ein mal eine stationäre Therapie machte, lernte ich Anna kennen (nicht ihr richtiger Name). Ich hatte ein paar Brettspiele mitgebracht und die Stationsgruppe hatte sich Abends getroffen, um zu spielen. Anna saß neben mir und wir spielten Carcassonne mit ein paar anderen Patienten. Dies war meine erste Begegnung mit ihr und eigentlich merkte ich erst an den Reaktionen der anderen Mitspieler, dass gerade etwas Ungewöhnliches passierte. Annas Stimme hatte sich verändert, von einer erwachsenen Frauenstimme hin zu einer Kinderstimme. Ihre Körperhaltung war devot, sie blickte ganz lieb und nicht nur ihr Augenausdruck, nein, auch ihre Augenfarbe hatte sich verändert. Die anderen Mitspieler waren von dieser Verwandlung völlig irritiert aber irgendwie fand ich das ganz normal.
 

Das kleine Mädchen begann mit mir zu reden und eröffnete mir, ganz offen, wie kleine Kinder so sind, dass es mich mag und dass es mir vertrauen würde und ich antwortete ihr genau so, wie man einem kleinen Mädchen auf so eine Aussage antwortet. Natürlich habe ich mich über dieses Vertrauen gefreut und spürte auch sofort eine herzliche Verbindung zu ihr. Wir unterhielten uns eine Weile und beschlossen, dass sie immer zu mir kommen kann, wenn sie mich brauchte. Es dauerte dann nicht lange, da trat Anna wieder in den Vordergrund und erklärte mir und den anderen Patienten, dass ihre Kondition eine multiple Persönlichkeitsstörung ist. Sie hatte die mit Abstand schrecklichste Kindheit hinter sich, von der ich je gehört hatte und es war nicht verwunderlich, dass ihre Seele in 26 bis dahin bekannte Persönlichkeiten aufgespalten war, die mehr oder weniger im Kontakt zueinander standen. Anna meisterte ihr Leben mit dieser Einschränkung außergewöhnlich gut. Wir wurden Klinik-Buddys und verbrachten viel Zeit mit einander. Was soll ich sagen? 26 Freunde in einer Person? Das macht die Pflege des Soziallebens recht einfach. Der Unterschied zwischen Anna und den anderen Patienten bestand darin, dass sie begriffen und akzeptiert hatte, dass ihre Persönlichkeit gespalten ist und sie sich auf den Weg begeben hatte, diese Anteile wieder zu einem funktionierenden Ganzen zusammen zu führen. 

Ich erkannte in dieser Begegnung einen Teil meiner Berufung und eine wertvolle Gabe und Anna war nur eine der ersten, deren unbewusste Anteile mit mir sprechen wollten. Im Privatleben ist es manchmal wie ein Fluch, denn als Hochsensibler kann ich mich oft nicht abgrenzen gegenüber all den abgespaltenen Emotionen und Anteilen anderer, die dann von mir gesehen werden möchten und es ist ein flächendeckendes Problem in unserer Gesellschaft. 
In meiner Berufung als Coach dagegen, ist es die größte Gabe. Hier kann ich mit dieser Fähigkeit helfen, Menschen wieder mit ihren abgetrennten Anteilen und Emotionen zusammen zu führen. Oft sind es kleine, kindliche Anteile, die vertrauensvoll zu mir kommen. Ich spüre sie, sie fühlen sich von mir endlich gesehen in ihren Schmerzen, ihrer Traurigkeit und ihrer Wut. Ich bewerte sie nicht. Sie sind Kinder und sie haben sich meist abgespalten, weil ihre Emotionen bewertet wurden und ihnen niemand einfach nur beim Fühlen beistand. Sie bitten mich oft darum der Hauptpersönlichkeit Botschaften zu übermitteln und wünschen sich nichts mehr, als wieder integriert zu sein. Ich fühle mit ihnen, sie fühlen sich angenommen und geliebt und wenn die Arbeit mit der Hauptpersönlichkeit gelingt, dann ist es, als würde man eine Familie zusammen führen, die sich Jahrzehnte lang nicht gesehen und doch ständig vermisst hat. Für diese Momente arbeite ich. 

Sei wie Anna! Mach dich auf den Weg, deine verlorenen Anteile wieder zusammen zu sammeln und ein ganzer Mensch zu werden. Wenn es dir schwer fällt den Kontakt zu diesen verlorenen Anteilen herzustellen, dann gib mir Bescheid! Ich bin für euch da.